#3: Von interaktiven Freilufterscheinungen und Desktopfilmen, mit Kevin B. Lee, 16.05.2017

Der gegenüber dem Film sehr kritisch eingestellte Philosoph Adorno (LINK), der sich vehement für eine Weitung der künstlerischen Ausdrucks aussprach, ja, dies medienunabhängig und als geistiges Konzept begriff, sah in der damaligen Filmindustrie alles andere als eine hoffnungsvolle Perspektive dahingehend. Dass zahlreiche Filmtheoretiker seinen Text „Der Essay als Form“ später immer wieder als Referenz für die so unstetige jedoch unbestrittene Essayfilm-Bewegung gelten wird, hätte er sich bestimmt nicht träumen wagen. Anfängliche filmexplorische Ansätze der Brüder Lumière oder auch Walter Ruttmanns „Berlin: Sinfonie der Großstadt“von 1927, skizzierten sicher schon eine essayistische Form vor, die sodann Filmemacher wie Sergei Eisenstein, Hans Richter, Orson Welles, Pier Paolo Pasolini, Johan van der Keucken, Peter Krieg, Harmut Bitomsky, Alexander Kluge und auch Harun Farocki weiterführten.

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Apropos Farocki:

1976 bringt Farocki eine „Einrichtung“ ins Gespräch, mit der „wir auch einen Zusammenschluss von Arbeitenden organisieren [können], nicht einen aus abstrakter Einsicht, sondern aus den Berührungspunkten der Arbeit.“ Diesem Gedanken post hum Tribut zollend, nahm das Harun Farocki Institut (HaFI) 2015 seine Arbeit auf. Dieses versteht sich als Plattform zur Erforschung von Farockis visueller und diskursiver Praxis, und arbeitet überdies auch an einer flexiblen Struktur für neue Projekte, die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Bildkulturen kritisch befragen.

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Kevin B. Lee ist der erste Stipendiat des Instituts. Für die „New York Times“, ist er der „King of Video Essays“. Und es ist unbestritten wahr: Wenn es einen Experten für dieses noch junge Phänomen namens Video-Essay oder Videoessay gibt, dann ist er es. Doch auch mit dem so genannten „Desktop-documentary“ ist Lee in Verbindung zu bringen.

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This is a photo of my work table in Berlin. On the wall are an arrangement of notes, each one containing a topic, an idea, a name. They are research notes for one of my current projects. Looking at the first image of Farocki contained in this image, I see the difference: he arranges images, I arrange words.1

Matt Zoller Seitz, ein ebenfalls prominenter Vertreter der Video-Essays, skizziert diese Kreativform als:

The video essay is often described as a form of new media, but the basic principles are as old as rhetoric: the author makes an assertion, then presents evidence to back up his claim.2

Obgleich der Video-Essay sehr zeitgenössisch daherkommt, steht er in einer deutlichen literarischen Tradition. Der Übertrag in das technologisch stark präsente Zeitalter geschuldet, spiegelt sich die Ausdrucksnatur der Video-Essays als audiovisuelle Erweiterung der Wortdrucks wieder. Kevin B. Lee formuliert Medienkritik und instrumentalisiert zeitgenössische Kulturtechniken. Durch diese visuelle Filmkritik hat Lee einen regelrechten Boom ausgelöst, deren NachahmerINNEN im Internet auf diversen einschlägigen Videoplattformen eine völlig neue Form gefunden haben. Lee zeigt auf wie man intelligent sowie kreativ Kritik üben kann, und daraus sogar noch einen Mehrwert für andere zu fabrizieren in der Lage ist.

Der Video-Essay arbeitet in Schichten, referiert kontextbezogen und grenzt zeitliche Bedingtheit aus. Korrelationen werden erratisch um die Logik herum geführt und asymmetrisch miteinander in Beziehung gesetzt. Die daraus entstehende Neuinterpretation kann als neues Werk betrachtet werden. Was bedeutet dieses höchst präzise Sortierverfahren für die Zeitlichkeit eines zeitbasierten Mediums wie dem Video? Kevin B. Lee wird uns diese und andere Fragen beantworten.

Lee bei seiner Transformers-Lecture Performance in der GFZK Leipzig

 

Webseite von Kevin B. Lee: LINK

Der Residency Blog: LINK

1: https://residency.harun-farocki-institut.org

2: http://www.kunst-der-vermittlung.de/dossiers/internet-weblogs/matt-zoller-seitz-video-essay/