redux/time/OUT OF JOINT
Caspar Stracke
US/DE 2015/16, 59′
redux/time/OUT OF JOINT von Caspar Stracke ist ein filmisches Geflecht, in welchem unterschiedliche Wissenschaften, Kunstformen und Wahrnehmungsmuster mit disparaten formal-ästhetischen Bildkonzepten konfrontiert werden. Dabei gilt es das Rückwärtige als mögliche Verlaufsstrategie der Zeit zu ergründen. Zahlreiche präzise Fundstücke wie das mathematische Experimentalvideo WAL(L)ZEN des Neoplantonikers Ivan Ladislav Galeta verdichten redux/time/OUT OF JOINT zu einer komplexen Spurensuche nach einem alternativen Verständnis von Fortschritt. Der für seine genialen transdisziplinären Arbeiten bekannte Philosoph und Deleuzianer Manuel DeLanda trägt als charismatischer Protagonist mit seinen eindrücklich formulierten Theorien dazu bei, dem filmischen Essay einen gewissen Nachhall nicht absprechen zu können.
WAL(L)ZEN von Ivan Ladislav Galeta, 1989
Stracke ist Professor für Zeitgenössische Kunst und Bewegtbild an der Finnish Academy of Fine Arts Helsinki. Der Film lief u.a. 2017 auf der Transmediale. Von dort aus wird er im Anschluss des Films per Skype zugeschaltet sein.
Die Veranstaltung findet um 19 Uhr in der GFZK (Auditorium) statt. Als Eintritt gilt das ermäßigte Museumsticket (3€).
Fragen:
1
Herr Stracke, die Filmreihe widmet sich den multiplen Möglichkeiten, Zeit und Zeitempfindung in zeitbasierten Medien wiederzugeben. In ihrem Film lassen Sie den Mexikanischen Philosophen Manuel De Wanda zu Wort kommen, der auf der einen Seite ein bekennender Deleuzianer ist, und überdies das Buch A Thousand Years of Nonlinear History verfasst hat. Mich interessieren hier die so genannten „nonlinearen Wissenschaften“, mit denen De Wanda ja in verschiedenen Disziplinen und Fachbereichen auf Interesse stößt. Ich habe gleich zwei Metafragen in diese Frage gepackt: Ist Nonlinerarität als zeitstrukturelle Vorgabe nicht eine zum Scheitern verurteilte Unternehmung innerhalb eines Videos oder Films, bei dem es einen Anfang und auch ein Ende gibt, also ein abgeschlossenes Kontinuum und in diesem Sinne nur eine behauptete nicht vorhandene gleichmäßige Abfolge von Geschehnissen?
De Wanda bezeichnet Leute wie Deleuze oder Baudrillard nicht als Philosophen sondern als „Ingenieure der Zukunft“. Wie würden sie diese Umschreibung deuten in Hinsicht des Rückwärtigen? Ist ein Konzept des Rückwärtsverlaufs nicht fast schon eine Negation von Zukunftsgerichtetheit?
2
Zeit ist ist ja ein sekundäres Phänomen, das der menschlichen Wahrnehmung selbst unzugänglich ist und lediglich in primären Zeichenkomplexen wahrnehmbar wird. Da ist die objektiv-physische Zeit und die subjektiv-erfahrbare (geträumte, erlebte, erinnerte usw.). Alle Filme verbindet ihre medieninhärente Zeit, ihre „Eigenzeit“. Aber das Filmbild weist neben seiner zeitlichen Linearität ebenso Gleichzeitigkeit, denn es verändert sich nicht nur in der Zeit, sondern bildet Zeitlichkeit ab, welche wiederum eine Vielzahl disparater Abläufe oder sogar Zeitebenen beinhalten kann. Wo sehen sie in diesem Film die verschiedenen Zeitebenen situiert? Kann man Zeit selbst, und in ihrem Fall den rückwärtigen Zeitverlauf, denn erzählen?
3
Detlef B. Linke, Prof. für Neurophysiologie an der Uni Bonn in seinen Studien über Kunst und Gehirn, schrieb: „Konstruktion scheint das Unvermeidbare in der menschlichen Existenz.“ Wir müssen die Wirklichkeit als Konstruktivismus verstehen. Auf ihren Film angewandt könnte ich argumentieren, dass erst durch die „richtige“ Zusammensetzung der Fragmente eine bestimmte funktionale Konfiguration entsteht – nämlich eine die es erlaubt den Film als eine tatsächlich gestellte Frage zu verstehen, ihn in seiner Gesamtheit zu begreifen. Wie gehen sie vor bei ihrer Strukturierung ihres Materials?
4
Ich möchte beim Stichwort „Fragment“ einhake: Es gibt die Szene in der Markthalle, ich vermute in China, in welcher bei der späteren Einstellung grafische Partikel bzw. Fragmente durch den Raum schweben. Genauso stelle ich mir bildlich seit jeher die Plateaus von Deuleuze aus „Tausend Plateaus“ vor: In meiner Vorstellung ist jedes dieser Plateaus eine Art Datenfundus oder -speicher, ähnlich einer Festplatte, mit einer schier unbegrenzten Konnektivität. Jede Dateninformation hat Zugriff auf eine Information die von einem anderen Speicher herstammt – es gibt keinerlei hierarchische Anordnung, und somit halte ich die physikalische Abbildung des Schwebens für eine gute Metapher. Der Off-Text im Film handelt indessen von einer möglichen Neubetrachtung in Bezug auf die Ausdehnung des Universums, was am Ende auf eine totale Einheit oder Gleichheit aller einstigen Individuen hinausläuft. Der Wissenschaftler Thomas Gold vermutete, dass der Zeitpfeil mit der Ausdehnung des Weltraums zusammenhängt und sich umkehren könnte, wenn das All sich wieder zusammenzieht. Wenn es kein Schrumpfen und keine Expansion mehr gibt, frage ich mich wie eine Anordnung funktionieren könnte, die beim filmischen Essay ja höchst präzise und subjektiv verrichtet wird?
5
Wenn ein Film rückwärts läuft, erkennt man das rasch, weil viele Prozesse in der Welt sich nur in eine Zeitrichtung entwickeln, also nicht umkehrbar sind. Der britische Physiker Arthur Stanley Eddington hat für diese Irreversibilität 1927 den Begriff „Zeitpfeil“ geprägt. Es gibt inzwischen zehn Zeitpfeile. Zwei finde ich im Hinblick Ihres Films besonders denkenswert: Der Psychologische: Wir erinnern uns an die Vergangenheit, aber nicht an die Zukunft, die noch nicht festzustehen scheint. Der Kausale: Ursachen kommen nie vor ihren Wirkungen, und diese haben zusammenhängende Strukturen. Wie könnte es aussehen einen Film zu machen, in dem Zeit keine mediensignifikante Rolle spielt? Haben Sie hier vielleicht eine wilde Theorie parat?
6
Was ist also Zeit? Um 1600 herum war man auf dem Stand: „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht“. In der Physik wird der Begriff „Zeit“ heute mit den reellen Zahlen umschrieben und als eine gerade Linie abgebildet. Philosophen kritisieren das häufig als unzulässige Verräumlichung der Zeit. Was sagen Sie dazu?
7
Abschließend noch eine Frage meine eigene Forschungsarbeit betrifft: Als Anfangsverdacht behaupte ich, dass der Essayismus als Verfahren als eine Erweiterungsform der Kritik betrachtbar sein könnte, wobei Kritik selbst ja auch von ihrer Darstellung abhängig ist. Der bei meiner Arbeit im Vordergrund stehende Bereich momentan ist die Kritik als Praxis, ausgeführt über bzw. durch den Essayismus. In diesem ist die Kunst das Medium, welches Essay und Denken bzw. Erkenntnis verbindet. Wie würden Sie sich als positionieren hier bzw. stellt der Film eine Kritik der zeitgenössischen Auffassung und Verwendung des Zeitbegriffs dar?
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